Dienstag, 10. Dezember 2013

Straßen des Lebens.




'Siehst du, Momo', sagte er [Beppo Straßenkehrer] dann zum Beispiel, 'es ist so: Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. 
Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man.'
Er blickte eine Weile schweigend vor sich hin, dann fuhr er fort: 
Und dann fängt man an, sich zu beeilen. Und man eilt sich immer mehr. 
Jedesmal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. 
Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst zu tun und zum Schluss ist man ganz außer Atem und kann nicht mehr. 
Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen.' 

 Gerade Straße wallpapers
 
Er dachte einige Zeit nach. Dann sprach er weiter: 'Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? 
Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.'
Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte: '
Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. 
Und so soll es sein.'
Und abermals nach einer langen Pause fuhr er fort: 
'Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. 
Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Atem.' Er nickte vor sich hin und sagte abschließend: 
'Das ist wichtig!' 
[Michael Ende, "Momo"]

Das, was die Figur aus der Momo-Geschichte dort sagt, kennt wohl jeder. 
Das aufsteigende Panikgefühl vor anstehenden Aufgaben.
Das Überfordertsein.
Das Von-Tag-zu-Tag-gestresster Werden, wenn man wieder einmal viel zu wenig Zeit für alles hat.
 Und wieder einmal ist es die Zeit, die einem hier teuflisch durch die Finger zu rinnen scheint.



Doch es geht auch ganz anders.
Das Gefühl, dass am Ende der Strasse etwas auf dich wartet.
Bedrohend.
Dunkel.
Unausweichlich.

 

Dann kann die Strasse noch so lang sein, irgendwann wirst du an ihr Ende gelangen.
Und wenn die Reise auf der Strasse auch noch so schön ist, du weisst, dass sie enden wird.
Vorerst.
Und dann ist da irgendwie noch das Gefühl, dass es vielleicht kein Ende sein muss.
Sondern dass die Strasse an eine Gabelung trifft, an der man sich für einen Weg entscheiden muss.
Und diese Entscheidung dein Leben verändern kann.


  

Donnerstag, 5. Dezember 2013

Momo.

Momo ist so viel mehr als nur ein Kinderbuch.
Klar, fast jeder kennt die Geschichte aus seiner Kindheit.
Nur ich nicht.
Vor ungefähr einem Jahr fiel mir dann das alte Kinderbuch meiner Mutter in die Hände.
Ich begann zu lesen und hörte nicht wieder auf.
In einem Zug habe ich das Buch durchgelesen.
Es hat mich einfach verzaubert, irgendwie gepackt.

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Diese Geschichte, so kindgerecht und doch hochphilosophisch.
Eine wunderbare Geschichte eines kleinen Mädchen, das den Menschen ihre gestohlene Lebenszeit zurückbringt, welche ihnen von den Grauen Herren der Zeitsparkasse gestohlen wurde. 
Ein Mädchen, das gegen jede Konvention handelt und denkt. 
Das im frühen Alter verstanden hat, was das Wichtige im Leben ist.

Eines der Hauptthemen dieses Buches ist das Thema der Zeit. 


Ein Rätsel, das nachdenkliche Kinder und Erwachsene, die noch nicht verlernt haben, sich über das scheinbar Selbstverständliche zu wundern, gleichermaßen beschäftigen kann.
Momos Geschichte ist in jenem Reich der Phantasie angesiedelt, das im Nie und Nirgends liegt oder auch in einer zeitlosen Gegenwart.

Doch nicht von Fabelwesen aus fernen Galaxien ist die Rede, ihre Bildsprache ist ganz und gar unserem gegenwärtigen Leben entnommen, ihre Welt ist die einer heutigen Großstadt.
Gänzlich nah dran an uns.
 Und es erweist sich, dass unsere moderne Welt nicht ärmer an Wundern und Geheimnissen ist, als die vergangener Zeiten, wenn man sie mit den Augen Momos  und ihrer Freunde anschaut...

Neben der wirklich schön geschriebenen Geschichte glänzt das Buch aber auch durch wirklich tiefgreifende Zitate, die mich sehr zum Nachdenken angeregt haben.

 
"Du weißt ja, dass sie von der Lebenszeit der Menschen existieren. Aber diese Zeit stirbt buchstäblich, wenn sie von ihrem wahren Eigentümer losgerissen wird. Denn jeder Mensch hat seine Zeit. Und nur so lang sie wirklich nur die seine ist, bleibt sie lebendig."

 Zeit,Zeitforscher,Karlheinz Geißler,Stress,Burnout,Zeitdruck

"Denn so wie ihr Augen habt, um das Licht zu sehen und Ohren um Klänge zu hören, so habt ihr ein Herz um damit die Zeit wahrzunehmen. Und alle Zeit, die nicht mit dem Herzen wahrgenommen wird, ist so verloren wie die Farben des Regenbogens für einen Blinden oder das Lied eines Vogels für einen Tauben."

Ein literarisches Plädoyer für uns Menschen, die im Stress des Alltags oft die wichtigen Dinge vergessen und aus den Augen verlieren.
Sich Zeit zu nehmen.
Für ein kurzes Gespräch mit dem Nachbarn.
Für ein tröstendes Wort zur Freundin.
Für ein Lächeln für den Fremden traurigen Mann auf der Strasse.
Fürs Zuhören.
Fürs Dasein.

 

Denn wenn wir denken, wir können uns für diese Dinge die Zeit nicht nehmen und sie lieber sparen, bleibt am Ende des Tages immer die Frage:
Wofür eigentlich?