Mittwoch, 14. August 2013

- Die zwei Königskinder -




Es folgt eine Geschichte, die ich für meinen Neffen zur Geburt verfasst habe.

-Die zwei Königskinder-

Es waren einmal zwei Königskinder, die lebten weit entfernt voneinander in einem riesigen grünen Tal. Jedes lebte in einem Schloss, wobei die kleine Prinzessin auf der rechten Seite des Tals lebte und der kleine Prinz auf der linken. So wuchsen sie heran, Tag für Tag, und sie hatten alles, was das Herz eines Königskindes sich nur wünschen konnte. Ihre Eltern lasen ihnen jeden Wunsch von den Augen ab und es mangelte ihnen an nichts. 

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Es kam der Tag, an dem die beiden Königskinder, und es mag erstaunen, dass dies am selben Tag passierte, ihren 18. Geburtstag feierten. Welch prunkvolles Fest man auf beiden Talseiten zu sehen bekam: Essen, Musik und Geschenke ließen beide Schlösser in einem unbändigen Glanz erstrahlen und es wurde bis tief in die Nacht hinein gefeiert. Natürlich standen beide Königskinder im Mittelpunkt, doch ziemt es sich von nun mehr nicht, von den beiden als Kindern zu sprechen. Denn beide waren zu jungen schönen Erwachsenen herangereift, jeder für sich eine besondere Schönheit. Die Prinzessin mit ihrem langen ebenholzschwarzem Haar und den blauen Augen war von jedermann gern angesehen. Der junge Prinz hingegen stand ihr in nichts nach, auch er war eine besonders schön anzusehen und wurde von jeder Frau des Königreichs bewundert. Zwei Tage nach dem rauschenden Geburtstagsfest spielte sich nun in beiden Schlössern folgende Szene ab:

Auf der rechten Talseite kam nun der König zu seiner Tochter ins Zimmer und sprach zu ihr: „Tochter, nun bist du kein Kind mehr, du bist nun in die Welt der Erwachsenen eingetreten und bist ein Teil von ihr. Ich erwarte von dir, dass zu heiratest und selber Verantwortung für das Königreich übernimmst. Da du natürlich jemanden heiraten wirst, der deiner gerecht wird, mache ich dir folgenden Vorschlag: Auf der anderen Seite des Tals lebt ein junger schöner Prinz, der soll dein Gemahl werden!“ Natürlich hatte die Königstochter schon lange auf den Tag gewartet, an dem sie heiraten würde und die Beschreibung des jungen Prinzen entsprach genau der Vorstellung eines Mannes, den sie sich in ihren Träumen vorgestellt hatte. Also willigte sie freudig in den Vorschlag ihres Vaters ein.

Auf der linken Seite des Tals spielte sich gar ähnliche Szene ab: Auch hier trat der König zu seinem Sohn und sprach die Worte: „Sohn, nun gehörst du zu den Erwachsenen, ich möchte, dass du dir eine Frau suchst, die deinem Stande angemessen ist und sie heiratest. Auf der anderen Seite des Tals soll eine schöne Prinzessin leben, diese sollst du dir zur Frau nehmen und mit ihr dieses Königreich führen!“ Auch der Prinz willigte freudig in den Vorschlag seines Vaters ein, denn wer würde nicht gerne eine schöne Prinzessin zur Frau haben wollen?



Da sich nun die beiden auf die Vorschläge ihrer Eltern eingelassen hatten, nahmen sie nun das Schicksal in ihre eigenen Hände: So schrieb der Prinz der Prinzessin einen Brief, in dem er sie darum bat, in sein Schloss zu kommen und seine Frau zu werden, eben so, wie man es zur damaligen Zeit getan hatte. Doch zur selben Zeit verfasste die junge Prinzessin einen ebensolchen Brief, in welchem sie den Prinzen darum bat, sich auf die Reise zu ihrem Schloss zu machen, um sie dort zu seiner Frau zu nehmen. Zeitgleich kamen die Briefe einige Tage später bei den beiden an. 

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Doch keiner wollte von seinem ursprünglichen Plan abweichen und auf die Einladung des anderen reagieren. Warum auch? Schließlich waren sie es ja gewohnt, im Leben immer alles zu bekommen, was sie sich wünschten. So schrieben die beiden viele Briefe hin und her, jeder darum bemüht, den anderen dazu zu bewegen, der Einladung zu folgen. So vergingen zwei ganze Jahre und keiner der beiden wich auch nur einen Zentimeter von seinem eigenen Standpunkt ab.

Bis der Tag kam, an denen die Königseltern das Treiben ihrer Kinder nicht mehr mit ansehen konnten! So schmiedeten sie zu viert folgenden Plan: Zwischen den beiden Schlössern führte ein langer langer Weg entlang, der beide Schlösser miteinander verband. Nun sollten sich der Prinz und die Prinzessin zu Fuß auf den Weg machen, die jeweils andere Seite des Tals zu erreichen. Der Punkt allerdings, an dem sich die beiden trafen, war der Entscheidende, der er entschied darüber, wo die beiden von nun an leben sollten. Lag der Punkt näher am Schloss der Prinzessin, würden die beiden ihre gemeinsame Zukunft dort verbringen. Lag der Punkt allerdings näher in der Reichweite des Schloss des Prinzen, würden die beiden dort den Rest ihres gemeinsamen Lebens verbringen.

So machten sich die beiden auf den Weg. Immer noch voller Zorn darüber, nicht ihren ursprünglichen Willen bekommen zu haben, dachte sich die Prinzessin folgendes: Ich werde ganz einfach so langsam gehen, dass mich der Prinz an dem Punkt abpassen wird, der ganz sicher in der Nähe meines Schlosses liegt. So erhalte ich meinen Willen und bekomme zusätzlich noch einen schönen Prinzen als Mann. Voller Freude über den eigenen klugen Plan machte sich die Prinzessin nun auf den Weg. Schritt für Schritt und Schritt für Schritt. Langsam und ganz langsam setzte sie ohne jede Spur von Hast den Fuß nur zentimeterweise vor den anderen.

Doch sie wusste nicht, dass der Prinz, ebenso erbost darüber, nicht seinen Willen bekommen zu haben, genau diesen Plan auch hatte, denn er dachte bei sich: „Warum soll ich denn zur Prinzessin eilen, wenn ich auch einfach warten kann, bis sie meinen Weg kreuzt? Und wenn ich sehr langsam gehe, dann wird sie mich an dem Punkt treffen, der ganz sicher in der Nähe meines Schlosses liegt und so habe ich beides: mein Schloss UND die Prinzessin!“ Also machte auch er sich auf den Weg und setze langsam und betont ohne Eile einen Fuß zentimeterweise vor den anderen.



So verging Tag um Tag und Tag um Tag und die beiden entfernten sich nur langsam von ihrer Heimat. Wären sie in einem normalen Tempo gegangen und wären sogar so klug gewesen, und hätten sich für den Weg ein Pferd genommen, selbst dann wären sie lange unterwegs gewesen. Doch zu Fuß und getrieben vom eigenen Plan, sich nicht zu beeilen, dauerte der Weg unendlich lang. Denn jeder der beiden legte am Tag nur wenige Zentimeter zurück. So verging die Zeit und beide wurden immer wütender darüber, dass der eigene Plan nicht zu funktionieren schien. So schlichen sie weiter und weiter und dabei nahm die Wut in ihren Herzen jeden Tag zu, so dass sie beide mit der Zeit völlig verbittert wurden.

Doch nach mehreren Jahren der mühseligen Reise war es dann endlich so weit: Die beiden sahen jeweils in der Ferne den anderen auf sich zukommen. Und da sie beiden genau im gleichen Tempo gegangen waren, trafen sie zeitgleich in der Talmitte ein. Jeder war ganz genau gleich weit von dem Punkt entfernt, der genau in der Mitte zwischen den beiden Schlössern lag. Als die beiden das bemerkten, blieben sie stehen, denn schließlich hatte keiner diese mühselige Reise auf sich genommen, um nun doch zu verlieren und zu dem anderen zu gehen. Schließlich hätte er dann klein beigegeben und nicht seinen eigenen Willen durchsetzen können. Völlig erbost und verbittert durch die beschwerliche Reise und immer noch voller Glaube an den eigenen Willen und Plan, schauten sich die beiden an. Keiner war auch nur bereit dazu, dem anderen auch nur einen Zentimeter

entgegen zu laufen, denn das hätte den eigenen Plan zunichte gemacht. Irgendwann hielt es der Prinz nicht mehr aus und sagte: „Nun komm schon zu mir, damit wir endlich in mein Schloss einkehren und heiraten können!“ Doch genau das wollte die Prinzessin vermeiden und erwiderte: „Ganz bestimmt nicht, denn ich will, dass du mit zu mir kommst und bei mir lebst und auf meinem Schloss mein Mann wirst!“ So ging der Streit hin und her und keiner der beiden wich auch nur eine Handbreit vom eigenen Standpunkt ab. Sie stritten sich und warfen sich böse Wörter an den Kopf und die Sonne ging unter und wieder auf und abermals unter und wieder auf. Die Jahre vergingen und die Zeit zog ins Land und immer noch stritten sich die beiden und keine Lösung war in Sicht.



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[Quelle: http://www.natura-mystica.info/raum/ra19103SchwierWeg1645.jpg]




Eines Tages, und es waren in der Zwischenzeit viele viele Jahre vergangen, da starb der Prinz, der mittlerweile alt und hässlich geworden war, denn Streit und Wut lassen den Menschen seine eigentliche Schönheit schnell einbüßen. Kurz darauf verließen auch die Prinzessin die Lebensgeister und ihr Körper sank zu Boden, auch dieser durch die Jahre und den Zorn alt und unansehnlich geworden.

So starben der Prinz und die Prinzessin nur knapp entfernt von der gemeinsamen Mitte ihres Weges, der dazu bestimmt war, sie eigentlich zueinander zu führen und der ihnen eine schöne und glorreiche Zukunft versprochen hatte, ohne sich auch nur einmal berührt zu haben, dabei hätten sie nur die Hände nacheinander ausstrecken müssen...

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